Hintergrund: Die Pandemie ausgelöst durch den Covid19-Virus hat mit Ende Februar und Anfang März 2020 auch mit unterschiedlicher Intensität und zeitlicher Versetzung die Mitgliedstaaten der EU erfasst. Nachdem vorrangig für den Bereich des Gesundheitswesens und auch für Katastrophen generell die Mitgliedstaaten zuständig sind, reagierten diese mit unterschiedlichen, aber durchwegs ähnlichen Maßnahmen auf die noch nie dagewesene Herausforderung. Es galt primär das Funktionieren der Gesundheitssysteme zu sichern. Zu diesem Zweck wurden die sozialen/physischen Kontakte von Menschen auf das unbedingt erforderliche Maß eingeschränkt, um ein ungezügeltes Ausbreiten des Virus einzudämmen. Die zunächst unkoordinierten, nationalen Maßnahmen (Grenzkontrollen und Sperren, Rückführungen, Exportsperren für medizinischen Bedarf aber auch wirtschaftliche Hilfsmaßnahmen, etc.) betreffen in vieler Hinsicht EU-Regeln, ja sogar die (vorübergehende) Aussetzung von EU-Grundfreiheiten. Die Organe der Europäischen Union reagierten aber unverzüglich und in umfassender Weise im Hinblick auf jene Maßnahmen, die in ihre Zuständigkeit fallen.

Status Quo:Mit Stand 15. April 2020 lassen sich die von Organen und Institutionen der EU gesetzten Maßnahmen wie folgt darstellen (gegliedert a) in eine Übersicht mit finanzieller Komponente und b) Auflistung sonstiger wichtiger materiell-rechtlicher Art)

a) Übersicht finanzielle Maßnahmen:

EU-Maßnahme: Instrument (finanz.) Umfang  (finanz.)

EU-Haushalt

Anmerkung:
EZB Finanzpolitische Interventionen € 890 Mrd.

(Finanzschulden-transaktionen)

zur Stützung der  Staatsschulden der MS und des Finanzsystems
Hilfspaket Unterstützung an WHO   € 232 Mio.

(Zuschüsse)

 

für Diagnostik, Überwachung und Forschung (international), davon 3 Mio. für Repatriierung EU-Bürger aus Wuhan
EK Forschungs-Schwerpunkt größtenteils aus Horizont 2020 € 220 Mio.

(Zuschüsse)

 

div. Forschungs-projekte für Impfstoffe und Therapie
Covid19 Resp. Invest. Initiative – CRII

(Vorschlag EK 13.03. – rechtskr.: 31.03.)

(ESI-) Strukturfonds € 8 Mrd.

(Zuschüsse)

 

nicht verausgabte und an MS über-wiesene Mittel; mit 29 Mrd. nat. Kofinanzierung =

€ 37 Mrd.

Ausweitung der Anwendung …

(Vorschlag EK 13.03. – rechtskr: 31.03.)

EU-Solidaritätsfonds bis zu 800 Mio.

(Zuschüsse)

 

auf Kosten/ Schäden durch Krisen „öffentliche Gesundheit“
Anwendung EU-Globalisierungs-fond bis zu 179 Mio.

(Zuschüsse)

 

Bekämpfung krisenbedingter Arbeitslosigkeit (auch Selbst-ständige)
Betriebsmittel-stützung und Kreditaufschub für KMU

 (2.H. März)

Europäischer Investitionsfond EIF und Europäischen Fonds für strat.

Investitionen (EFSI)

über Cosme und

InnovFin-KMU-Garantien

€ 1 Mrd.

(EU-Haushalts-garantie), mobilisiert

neu: € 8 Mrd.

(Kredite)

 
       
       
Finanz. Sofortmaß-nahmen Migration

(Vorschlag EK 27.03.)

 

Flexibilitätsinstrument für Migration/

Einwanderung

(außerbudgetär)

neu: € 73,3 Mio.

 

Aufstockung: gemeinsam mit Nachtragshaushalt EU zu beschließen
 

Aktivierung EU-Soforthilfe

(Vorschlag EK 02.04.

Beschluss Rat erforderlich)

Bedingt auch Änderung des MFF!

Instrument Soforthilfe

VO EU 2016/369 v. 15. März 2016

 

€ 2,7 Mrd.

für 2 Jahre: 01.02.2020-

31.01.2022

(Direktankauf EK, Zuschüsse)

verfügbare Mittel

EU-Budget

Finanzierung von Covid19 bedingten Sofortmaßnahmen (mediz. Gerät und Ausrüstung, Tests, Ärtze, Behandlung in anderen MS); soll rückwirkend ab 1. Feb. 2020 gelten; nur ergänzend zu anderen Finanzierungen der EU
SURE (temporary Support to mitigate Unemployment Risks in an Emergency)

(Vorschlag EK 02.04. – Beschluss nur durch Rat: 09.04)

neu SURE

gesichert vornehmlich durch Garantien der MS

nach Modell EFSM („kleiner Rettungsschirm“)

neu:

bis zu € 100 Mrd.

(Kredite)

zur Finanzierung von kurzfristigen Beschäfti-gungsmaßnahmen, wie Kurzarbeit, Hilfen für Selbstständige durch MS; ausschl. Covid19 bezogen und zeitlich befristet!
Aktivierung ‚Rettungsschirm‘ Finanzkrise

(Beschluss Rat: 09.04)

European Stability Mechanism – ESM bis zu € 240 Mrd.

(Kredite)

zweckgewidmet für Gesundheits-systeme
Aktivierung EIB

(Beschluss Rat: 09.04)

Europäische Investitionsbank – EIB

Gesichert mit Garantien von 25 Mrd. durch MS

bis zu € 200 Mrd.

(Kredite)

zweckgewidmet für Firmen (KMU)
Grundsatz für Schaffung eines Wiederaufbau-Fonds

(Beschluss Rat: 09.04)

„Recovery Fund“ (neu)

(wohl anstelle von „Eurobonds“ aber auch mit „innovativen finanz. Instrumenten“?)

noch offen

(€ 500 Mrd. in Diskussion)

Unterstützung wirtschaftliche Erholung nach Covid19
„Team Europe“ Finanzpaket

EU mit weiteren Partnern

ECHO u. w. € 15,6 Mrd. für humanitäre Hilfe, Stärkung der Gesundheitssyteme und Abfederung wirtschaftl. und sozialer Folgen in Partnerländer (Nicht-EU)

Sieht man von den den Finanzsektor stützenden Maßnahmen ab, so werden aktuell   bis zu € 563,6 Mrd. an Kreditmittelnund € 12,2 Mrd. an möglichen (verlorenen) Zuschüssenaus vorwiegend bestehenden und einigen neuen EU-Instrumenten für die Bewältigung der Covid19 Krise mobilisiert.

 

b) Auflistung wesentlicher Maßnahmen mit materiell-rechtlichen und grundlegenden faktischen Auswirkungen:

Seit 28. Februar: EK mit 26 Mitgliedstaaten: beschleunigtes gemeinsames Beschaffungsverfahren für Schutzausrüstungen(koordinierter Katastrophenschutzmechanismus); Stand 14. April: Verträge für Handschuhe, Anzüge, Masken und Beatmungsgeräte nahezu alle unterfertigt, jedoch nur 1/3 der bestellten Waren lieferbar!

Anfang März: EK hochrangige Lenkungsgruppe für Arzneimittelund EK Koordinierungsgruppe Medizinproduktezur Steuerung und Forcierung der Produktion und Verteilung

  1. März: Vorschlag EK und Beschluss Rat zur vorübergehende Reisebeschränkung(für 30 Tage) für alle nicht unbedingt notwendigen Reisen aus Drittländernin den erweiterten EU-Raum (mittlerweile verlängert bis 15. Mai); Staatsangehörige aller EU-Mitgliedstaaten und assoziierten Schengen-Staaten, die an ihren Wohnort zurückkehren, sind ausgenommen.

De facto Einreiseverbot von Drittstaatsangehörigen in EU/EWR/Schengen-Raum

Seit Anfang März: Unterstützung und Koordination des Europäischen Auswärtigen Dienstes (EAD) für die ‚Repatriierung‘ von EU-Bürger/innenaus Drittstaaten: rd. 520.000 (von insges. rd. 600.000: ein Teil möchte im jeweiligen Drittland verbleiben!)

Seit Anfang März: EK forciert und unterstütztdie wissenschaftlichen Arbeiten für die Entwicklung geeigneter Impfstoffe und Therapiemittelund bereitet die Ausschreibung für einen Großankaufs von Therapie/Arzneimittel vor

  1. u. 20. März: EK-Bereitschaft für Vorschlag zur Aktivierung der allgemeinen Ausnahmeklauseldes EU-Stabilitäts- und Wachstumspakt: bei bedeutendem Konjunkturabschwung – gem. Beurteilung der Kommission bei Covid19 der Fall – können Mitgliedstaaten vom „Budget-Anpassungskurs“ abweichen; gem. IWF (14. April) bricht 2020 die Wirtschaft der Eurozone um 7,5%, AT um 7% ein (DE: -7%, IT: -9,1%), weltweit: -5,4%

De facto Außerkraftsetzung der strengen Fiskalregeln (auch wegen der Breite der möglichen staatl. Interventionen ist de facto „Schuldenmachen wieder erlaubt!“)

  1. bzw. 30. März: Beschluss (Rat und EP) Lockerung Slots für Flugverkehr– Verhinderung von Leerflügen
  2. März: Leitlinien der EKfür geeignete Ausfuhr-/Einfuhrkontrollmechanismen zur Gewährleistung der Versorgungssicherheit mit medizinischen Materialien und allgemein von Lieferketten („Grüne Linien“)
  3. März: EK-Leitlinien zur Aufrechterhaltung der Arbeitnehmerfreizügigkeit, speziell für grenzüberschreitende Pendler/innen;
  4. März (erg. 9. April): EU-Beihilfenrecht:neuer Rechtsrahmen nach Art.107 Abs. 3c (Rettungs- und Umstrukturierungsleistungen) und 3b (außerge-wöhnliches Ereignis, Beseitigung von Schäden infolge Naturkatastrophe) Rettungs- und Umstrukturierungsleitlinien AEUV (für Italien schon früher) mit beschleunigtem Genehmigungsverfahren (innerhalb von wenigen Tagen!) – Rechtsbasis für EU-konforme nat. Hilfsmaßnahmen für Wirtschaft, Entschädigungen (auch für Absagen von Veranstaltungen, Konzerte etc.), Steuererleichterung etc. und im Beschäftigungsbereich; (mit Stand 20. April über 80 nationale Beihilfenregelungen genehmigt!)

De facto ‚beihilfenrechtliche Genehmigung‘ der wirtschaftlichen Hilfs- und Unterstützungsmaßnahmen der Mitgliedstaaten

  1. März: EK Anschaffungvon diversen medizinischer Ausrüstungüber RescEU Katastrophenschutzmechanismus (90% Kofinanzierung durch EU)
  2. März: Vorschlag der EK (Beschluss durch Rat erforderlich) für neue Flexibilität für EU-Fiskalregeln: die budgetären Auswirkungen der einmaligen haushaltspolitischen Maßnahmen zur Bekämpfung von Covid19 i.w.S. („außergewöhnliches Ereignis“) bleiben unberücksichtigt.

De facto Außerkraftsetzung der strengen Fiskalregeln (auch wegen der Breite der möglichen staatl. Interventionen ist de facto „Schuldenmachen wieder erlaubt!“)

  1. April: EK-Vorschlag für Änderung/Erweiterung der geltenden Strukturfonds-Verordnungen: mehr Flexibilität für Einsatz der Gelder (rd. € 28 Mrd. 2020) in laufender Periode: 100% EU-Finanzierung; Verschiebung zwischen den Fonds; Verschiebungen zwischen Regionen; Absehen von thematischer Konzentration; ausnahmsweise Unterstützung von Unternehmen in Schwierigkeiten über De-Minimis; ohne neue ‚Partnerschaftsvereinbarung‘, Verschiebung allfälliger Berichtspflichten und weitere Verwaltungs-vereinfachungen auch für laufende Projektabwicklungen, die ‚wegen höherer Gewalt‘ nicht oder nur eingeschränkt ausgeführt werden können (EP und Ratsbeschluss noch Mitte April)

De facto: Öffnung und unverzügliche Nutzung der Strukturfonds für breite Sozial- und Wirtschaftsmaßnahmen

  1. April: EK-Vorschlag für Änderung des FEAD-Hilfsfonds(für die am stärksten Benachteiligten – in AT dzt.: Schulpakete-Aktion): Umwidmung für Covid19 Hilfsaktionen für ‚Benachteiligte‘; Verwaltungsvereinfachungen, Einführung „eGutschein“.
  2. April: EK-Vorschlag für Änderung EMFF(Meeres- und Fischereifond): zusätzliche Fördermaßnahmen für Fischer, Aquakulturbetreiber und Verarbeitung, die durch Absatzausfall infolge Covid19 betroffen sind; zusätzlich Verwaltungs-vereinfachungen und Änderung GAP für Einlagerungskapazitäten;
  3. April: EK-Leitlinie für EU Soforthilfe für die grenzüberschreitende Zusammen-arbeit im Gesundheitsbereich: Empfehlungen für die Zusammenarbeit für die Aufnahme und Behandlung von Patienten in anderen Mitgliedstaaten; ebenso für Personal;
  4. April: EK-Leitlinien zur Vereinfachung der Auftragsvergabefür die Anschaffung von dringend notwendigen medizinischem Material/Ausstattung;
  5. April: EK-Empfehlung für „EU-Toolbox“ für die Verwendung von Technologien und Datenzur Bekämpfung und zum Ausstieg aus der Covid19-Krise, insbesondere die Verwendung von Apps mit anonymisierten Bewegungsdaten;
  6. April: EK-Empfehlungen für eine koordinierte Covid19-Exit Strategie

Mittlerweile findet sich eine „Zeitleiste“ der Maßnahmen auf der Webpage der Europäischen Kommission:

https://ec.europa.eu/info/live-work-travel-eu/health/coronavirus-response/timeline-eu-action_de